Predigt zum 22. Sonntag im Jahreskreis (Mk 7,1–8.14–15.21–23)

Gegen Heuchelei und Scheinheiligkeit

Was macht Jesus zornig und wütend? Wenn wir uns die Evangelien anschauen, die über ihn berichten, dann ist die Antwort eigentlich eindeutig: die Scheinheiligkeit oder Heuchelei. Wörtlich sagt er uns heute: „Der Prophet Jesaja hatte Recht mit dem, was er über euch Heuchler sagte: Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, seit Herz aber ist weit weg von mir.“ Wir Menschen sollen begreifen: nicht das Äußere ist entscheidend, sondern das Innere. „Denn von innen, aus dem Herzen der Menschen, kommt alles Böse.“

Offenbar sind die Menschen zu keiner Zeit vor dieser Heuchelei und Scheinheiligkeit gefeit. Heuchelei war schon zur Zeit des Propheten Jesaja das Problem, es war das Problem zur Zeit Jesu und heute, in der Gegenwart, gilt das immer noch. Wahrscheinlich haben die Medien, die es heute gibt, dieses Problem sogar noch verschärft. Der äußere Schein muss gewahrt werden, vor allem, wenn die Kameras und Fotoapparate gezückt sind. Das Bild, das man in der Öffentlichkeit abgibt, hat mehr Bedeutung als das, was sich hinter den Kulissen abspielt. Das gilt nicht nur für die Politik oder die Unterhaltungsindustrie, sondern leider auch für die Kirche, wie wir ja in den letzten Jahren leidvoll erfahren mussten.

Wenn wir so ein Evangelium wie das heutige hören, dann geht es aber in erster Linie nicht darum, mit dem Finger auf andere zu zeigen, sondern erst einmal in sich zu gehen und sich selbst zu fragen: Und ich? Wie ist das bei mir mit der Heuchelei und Scheinheiligkeit? Ehre ich Gott mit den Lippen, obwohl mein Herz weit weg ist? Achte ich mehr auf mein Äußeres, oder denke ich auch einmal daran, dass das Böse aus dem Inneren kommt: Unzucht, Diebstahl, Mord, Ehebruch, Habgier, Bosheit, Hinterlist, Ausschweifung, Neid, Lästerung, Hochmut und Unvernunft. Diese Liste des Bösen, die uns Jesus da vorhält, ist lang. Und sagen wir nicht gleich, bei mir kommt das nicht vor, ich bin doch ein guter Mensch. Schauen wir vielmehr in unser Inneres hinein, in unser Herz und achten wir einmal darauf, was sich da wirklich abspielt.

Der heilige Franz von Sales schreibt zum Beispiel: „So malt sich jeder gern seine eigene Frömmigkeit aus, wie er sie wünscht und sich vorstellt. Wer gern fastet, hält sich für fromm, weil er fastet, obgleich sein Herz voll Rachsucht ist. Vor lauter Mäßigkeit wagt er nicht, seine Zunge mit Wein, ja nicht einmal mit Wasser zu benetzen, aber er schrickt nicht davor zurück, sie in das Blut seiner Mitmenschen zu tauchen durch Verleumdung und üble Nachrede. – Ein anderer hält sich für fromm, weil er täglich eine Menge Gebete heruntersagt, obwohl er nachher seiner Zunge alle Freiheit lässt für Schimpfworte, böse und beleidigende Reden gegen Hausgenossen und Nachbarn. – Der eine entnimmt seiner Geldbörse gern Almosen für die Armen, aber er kann aus seinem Herzen nicht die Liebe hervorbringen, seinen Feinden zu verzeihen. – Der andere verzeiht wohl seinen Feinden, seine Gläubiger befriedigt er aber nur, wenn ihn das Gericht dazu zwingt. Gewöhnlich hält man alle diese Menschen für fromm, sie sind es aber keineswegs.“ (DASal 1,33)

Nein, sie sind nicht fromm, sie sind Scheinheilige und Heuchler, weil ihnen der äußere Schein wichtiger ist als die innere Haltung.

So sind wir also heute eingeladen, hinter unsere eigenen Kulissen zu blicken, und darauf zu achten, wie es denn in unserem Herzen aussieht. Haben wir keine Angst davor, denken wir dabei immer daran, dass Jesus auch einem Mörder verziehen hat. Wer ehrlichen Herzens vor Gott hintritt, sein Herz öffnet, der begegnet keinem wütenden und zornigen Jesus, der erfährt seine unendliche Barmherzigkeit. Amen.

P. Herbert Winklehner OSFS