Predigt zum 22. Sonntag im Jahreskreis (Lk 14,1.7-14)

Demut

Im Mittelpunkt der Lehre, die uns Jesus im heutigen Evangelium erteilt, steht eine Tugend, die lange als verstaubt und überholt galt, in den letzten Jahren aber wieder auf größeres Interesse stößt, nämlich die Demut. Jesus empfiehlt uns jedenfalls Folgendes: „Such dir nicht den Ehrenplatz aus, den es könnte einer kommen, der vornehmer ist also du. Setz dich lieber auf den untersten Platz und freu dich, wenn jemand kommt und sagt: Freund rück weiter hinauf!“

Was hat es mit dieser altehrwürdigen Tugend auf sich? Warum ist sie in den Augen Jesu und damit natürlich auch in den Augen der Christen so wertvoll?

Auf Lateinisch heißt Demut „Humilitas“. Demut hat also etwas mit dem Humus zu tun, mit der Erde. Demut bedeutet Bodenständigkeit, Erdverbundenheit. Der demütige Mensch ist sich bewusst, dass er ein Geschöpf Gottes ist, aus der Erde entstammt und zur Erde zurückkehren wird. Der demütige Mensch hebt also nicht ab, sondern steht mit beiden Beinen fest auf dem Boden der Wirklichkeit. Der heilige Franz von Sales meint sogar, dass man den wahren Wert und die Echtheit einer jeden Tugend so erkennt wie den echten Balsam. Der echte Balsam, dieses wertvolle Öl des Balsambaumes, sinkt nämlich zu Boden, wenn man es ins Wasser wirft. Eine jede Tugend also, die nicht durch die Demut am Boden gehalten wird, läuft Gefahr zur Untugend zu werden. Aus Klugheit wird Besserwisserei, aus Beredsamkeit sinnloses Geplapper, aus jeder guten Fähigkeit und Veranlagung übertriebener Stolz und Übermut.

Diese Sicht der Demut entspricht dann auch einer zweiten Definition, die es über diese Tugend gibt: Demut ist Wahrheit. Es geht also bei der Demut nicht darum, wie man lange Zeit meinte, dass man sich immer schlechter machen müsste als man ist. Also: Ich bin nichts wert, der geringste unter den geringsten, unfähig für alles. Nein, wahre Demut lässt mich so sein, wie ich wirklich bin. Der demütige Mensch ist sich bewusst, dass seine Fähigkeiten und Stärken genauso zu ihm gehören wie seine Fehler und Schwächen. Demut ist eben Wahrheit. Niemand ist vollkommen, aber jeder Mensch besitzt einen einzigartigen Wert und eine einzigartige Würde. Den Platz, der mir zusteht, den suche ich mir aber nicht selbst aus, sondern er wird mir vom Gastgeber oder vom Hausherrn zugeteilt, also von Gott, der mich besser kennt als ich mich selbst. Gott weiß um meine Stärken und Schwächen, er ist die Wahrheit, vor ihm brauche ich mich nicht zu verstecken. Vor ihm darf ich sein, wie ich bin.

Und schließlich gibt es noch eine dritte Definition dieser wertvollen Tugend Demut. Das deutsche Wort kommt vom mittelhochdeutschen Wort „Dien-Mut“. Die Tugend Demut hat also auch mit dem Mut zu tun, anderen zu dienen. Jesus hat uns dafür ein Beispiel gegeben, als er beim letzten Abendmahl seinen Jüngern die Füße wusch und dabei sagte: Der Größte von euch ist der, der dient. Und im heutigen Evangelium ermutigt Jesus dazu, nicht nur Freunde, Verwandte und Ehrengäste einzuladen, sondern Arme, Krüppel, Lahme und Blinde. Der wahrhaft demütige Mensch ist also nicht nur bodenständig und erdverbunden, er weiß nicht nur um seine Stärken und Schwächen, er hat auch den Mut, all jenen zu helfen, denen es nicht so gut geht wie ihm.

So ist es eigentlich nur allzu verständlich, dass der letzte Rat des heiligen Franz von Sales, den er uns vor seinem Tod gab, einfach und prägnant lautete: „Seid demütig Gott gegenüber und sanftmütig dem Nächsten gegenüber. Das ist eigentlich alles, mehr weiß ich nicht.“ Amen.

P. Herbert Winklehner OSFS