Predigt zum 20. Sonntag im Jahreskreis (Mt 15,21-28)

Das Bittgebet: Demut und Vertrauen

Die einfachste Definition für das Gebet lautet: Beten ist Reden mit Gott …
Mir wird auch kaum jemand widersprechen, wenn ich behaupte, dass das Gebet ein ganz wesentlicher Bestandteil des Glaubens ist. Für jeden Menschen, der an Gott glaubt, gehört das Gebet wesentlich dazu.
Wenn ich wissen will, wie lebendig mein Glaube ist, kann ich mich also fragen: Wie sieht mein Gebet konkret aus? Wie oft bete ich? Wie bete ich, wenn ich bete? Hier gibt es ja verschiedene Möglichkeiten: loben, danken, anbeten – oder einfach schweigen und hören. Die häufigste Art des Betens, so sagen es zumindest die Umfragen, ist das so genannte Bittgebet. Der Mensch bringt seine Anliegen vor Gott und hofft, von Gott auch entsprechende Hilfe zu erfahren. Dieses Bittgebet ist natürlich legitim und von Gott auch durchaus erwünscht: „Bittet, und euch wird gegeben“, so heißt es im Evangelium. „Wenn ihr in mir bleibt und ich in euch“, so sagt Jesus, „dann könnt ihr bitten, um was ihr wollt, euer Vater im Himmel wird es euch geben“. Es gibt beim Bittgebet allerdings auch eine Gefahr, nämlich die Gefahr, Gott zu instrumentalisieren, ihn zum Automaten zu machen: Ich werfe oben meine Bitten hinein, und unten kommt dann das Gewünschte heraus. So aber läuft das nicht. Damit würde ich Gott zur Marionette machen, ja, ihn sogar erpressen: Wenn du mir nicht hilfst, wie ich will, dann glaube ich nicht mehr an dich.
Das heutige Evangelium zeigt uns, wie echtes Bittgebet funktioniert. Die kanaanäische Frau hat ein Problem. Ihre Tochter wird von einem Dämon gequält. Sie wendet sich an Jesus mit den Worten: „Hab Erbarmen mit mir!“ Und sie bekommt keine Antwort. Sie wendet sich an die Jünger, damit diese für sie Fürsprache einlegen. Und sie tun es schon allein deshalb, damit sie ihre Ruhe haben: „Befrei sie von ihren Sorgen, denn sie schreit hinter uns her.“ Jesus aber reagiert erneut abweisend, ja für uns sogar irritierend gefühllos: „Was geht mich das an – diese Frau ist nicht aus Israel.“
Spätestens jetzt – so meine ich – wären die meisten Beter frustriert umgedreht. Die Kanaanäerin aber reagiert anders: Sie wirft sich auf den Boden und sagt noch einmal: Hilf mir, Herr. Und am Boden liegend muss sie sich noch einmal einen erstaunlichen Satz anhören: „Ich will das Brot nicht den Kindern wegnehmen und den Hunden vorwerfen.“ Wie ehrfurchtslos klingt eine solche Aussage … Die Frau aber lässt sich auch von dieser Demütigung nicht abhalten, sondern sagt: „Ja, Herr, du hast recht! – Aber die Hunde bekommen wenigstens die Brotreste, die vom Tisch fallen.“ Damit hat sie Jesus überzeugt: „Frau, dein Glaube ist groß. Was du willst, soll geschehen.“
Das Zauberwort des richtigen Bittgebetes lautet also Demut: Ja, Herr, du hast recht, egal wie du dich entscheidest, du hast Recht. Bitten bedeutet nicht Befehlen, Bitten bedeutet Bitten, und dem anderen überlassen, ob er die Bitte erfüllt oder nicht. Dein Wille soll geschehen.
So sieht es auch der heilige Franz von Sales: „Man kann Gott auf zweierlei Arten bitten“, so beschreibt er es in einer Predigt, in der er auch die kanaanäische Frau als Beispiel bringt (DASal 9,405-406), „nämlich unmittelbar und mittelbar.“ Ich kann mich also direkt an Gott wenden: „Hab Erbarmen mit mir“ – oder indirekt über Fürsprecher, aber eines muss dabei immer vorhanden sein: „die Demut, mit der die Bitten vorgetragen werden“. Nicht ich, sondern Gott soll entscheiden, ob er mir die Bitte gewährt, oder nicht – und ich werde daran keine Bedingungen knüpfen: „Ja, Herr, du hast Recht“, egal, wie du dich auch entscheiden magst. Mit einer solchen Haltung der Demut in meinem Bittgebet bringe ich wie die Kanaanäerin meine Ehrfurcht, mein Vertrauen und meinen Glauben zum Ausdruck, dass Gott mein Leben immer zum Guten lenken wird, und dann wird Gott auch zu mir sagen: „Frau, dein Glaube ist groß. Was du willst, soll geschehen.“ Amen.

P. Herbert Winklehner OSFS