Predigt zum 2. Sonntag im Jahreskreis (Joh 1,35-42)

Kommt und seht

In der Mitte des heutigen Abschnittes aus dem Johannesevangelium steht die Einladung Jesu: „Kommt und seht!“

Was war geschehen? Bei der Begegnung mit Johannes dem Täufer in der Wüste, rief Johannes aus: „Dieser Jesus ist das Lamm Gottes.“ Das machte ein paar Jünger neugierig. Sie gingen Jesus nach, bis dieser sich umwandte und fragte: „Wen sucht ihr?“

Im Prinzip ist das ist eine klassische Berufungsgeschichte. Jemand hört etwas über Jesus Christus, er wird neugierig, er macht sich auf die Suche, er fragt und erhält die Antwort: „Komm und schau dir an, wo ich wohne … dann werden alle deine Fragen beantwortet.“

Könnten wir das auch so machen? Also einmal angenommen, jemand kommt auf uns zu, fragt uns nach Jesus Christus, weil er neugierig geworden ist, und wir antworten: Komm und sieh! Bleib einfach bei uns, schau dir an, was wir so tun, wie wir leben, und schon werden deine Fragen beantwortet.

Das wäre eigentlich das Ideal einer Pfarrgemeinde: Lebe mit uns mit und du wirst Jesus Christus erkennen.

Oder auch das Ideal einer christlichen Familie: Schau dir an, wie wir wohnen, wie wir miteinander umgehen, und du wirst Antwort auf deine Fragen finden.

Der heilige Franz von Sales hat in seinem Leben immer sehr gerne gepredigt. Er selbst sagte einmal, dass er ungefähr 4000 Predigten gehalten hätte. Viele davon sind noch heute erhalten, und es ist auch dokumentiert, dass ihm die Menschen gerne zuhörten. Viel wichtiger als seine Predigten aber waren seine persönlichen Begegnungen. Davon waren die Menschen wirklich schwer beeindruckt. Es gibt zwei Zeugnisse aus den Befragungen in seinem Seligsprechungsprozess, die das eindrucksvoll deutlich machen. Das eine Zeugnis stammt vom heiligen Vinzenz von Paul, das andere von der heiligen Johanna Franziska von Chantal. Beide meinten in ähnlichen Worten: Wenn ich Franz von Sales begegnete, dann hatte ich immer das Gefühl, ich begegne Jesus persönlich. Ich konnte mir dann vorstellen, wie Jesus auf Erden wandelte. Dieser Franz von Sales ließ mich spüren, wie Jesus Christus ist. Franz von Sales war ein lebendiges Abbild des Gottessohnes. Deshalb also sind die Menschen dem heiligen Franz von Sales in Scharen nachgelaufen, weil sie spürten: In seinem Wesen, in seinem Handeln, in seinem Leben wird Jesus Christus spürbar und lebendig.

„Ein Gramm gutes Beispiel“, so sagte Franz von Sales einmal, „wiegt jeden Wortschwall auf.“ Oder: „Viel tun macht vollkommen, nicht aber viel wissen.“ Durch mein gutes Beispiel und durch mein Verhalten sollen die Menschen das Lamm Gottes erkennen, sie sollen so wie die ersten Jünger neugierig werden und fragen, sie sollen sich eingeladen und willkommen fühlen: „Kommt und seht!“

Das wären also wirklich spannende Fragen zum heutigen Evangelium: Bin ich in meinem gelebten Glauben so echt und authentisch, dass die Menschen durch mich erleben können, wer Jesus Christus ist und wofür der christliche Glaube steht? Wenn ich jemanden einlade: „Komm und sieh?“ … wird er dann Jesus Christus entdecken? Bitten wir den heiligen Franz von Sales, dass er uns dabei hilft, unseren Glauben anziehend, gewinnbringend, herzlich und liebevoll zu leben, so wie er es in einem Brief einmal zusammenfasste:

„Ich will keine fantastische, mürrische, melancholische, verärgerte und kopfhängerische Frömmigkeit; wohl aber eine sanftmütige, freundliche, angenehme, friedliche – mit einem Wort eine ganz aufrichtige Frömmigkeit, die von Gott zuerst und dann von den Menschen geliebt wird“ (DASal 6,43). Amen.

P. Herbert Winklehner OSFS