Predigt zum 2. Sonntag der Osterzeit (Joh 20,19-31)
Glückselige Ungläubigkeit
spätestens seit Donald Trump Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika ist, kennt man das Wort „Fake News“. Da wird etwas als wahr behauptet, was gar nicht stimmt, oder umgekehrt: etwas, das wahr ist, wird als Lüge bezeichnet. Leicht gemacht wird dieser fahrlässige Umgang mit Wahrheit und Lüge durch die modernen Medien.
Aufgrund dieser Entwicklungen erhält eigentlich der Zweifel eine ganz neue Bedeutung. Er hilft mir nämlich, falsche Behauptungen aufzudecken und der Wahrheit auf den Grund zu gehen. Im Angesicht der ständig zunehmenden Fake News wird also der Zweifel plötzlich zu einem Gebot der Stunde. Glaube nicht alles, was in den Medien verkündet wird, zweifle, denn nur so kommst du der Wahrheit näher.
Für uns Christen wird damit der Apostel Thomas, von dem das heutige Evangelium erzählt, zu einer ganz wichtigen Figur auf unserer Suche nach der Wahrheit. Er ist nun eigentlich unser Schutzpatron gegen die Gefahr der Fake News. Sein Beiname „der Ungläubige“ oder „der Zweifler“, der ihn bisher unter der Apostelschar ein wenig an den Rand stellte, weil er eben nicht sofort glaubte, was ihm seine Mitapostel von der Auferstehung Jesu erzählten, wird plötzlich zum Garantieschein gegen die Lüge.
Interessant ist, dass der heilige Franz von Sales im Zusammenhang mit dem Zweifler Thomas schon vor 400 Jahren die Fake News zur Sprache brachte. Er nennt sie allerdings noch etwas altmodisch „Halbwahrheiten“ oder „Verschleierung der Wahrheit“. Bei den Großen der Welt, so predigte Franz von Sales einmal, soll nichts zur Sprache kommen, was dem makellosen Bild, das man von ihnen hat, schaden könnte (vgl. DASal 9,458-459). Nur, so Franz von Sales, wenn man die Fehler ständig verschleiert und nicht beim Namen nennt, kann niemand daraus lernen. Deshalb machen es die Evangelisten anders. Sie legen selbst die schlimmsten Fehltritte der Jüngerinnen und Jünger offen, damit wir daraus lernen und die grenzenlose Barmherzigkeit Gottes erkennen können. So berichtet die Heilige Schrift von der Verleugnung des Petrus, von den Sünden der Magdalena oder den Mordtaten des Paulus. Und natürlich auch vom Unglauben des Apostels Thomas. Diesen Unglauben oder Zweifel des Apostels Thomas nennt Franz von Sales übrigens eine „glückselige Ungläubigkeit“ (DASal 5,183), weil diese Ungläubigkeit den Apostel Thomas durch die große Güte und Barmherzigkeit Gottes zu einer noch tieferen Gläubigkeit führte, nämlich zu seinem Bekenntnis „Mein Herr und mein Gott!“ (Joh 20,28).
Für Franz von Sales ist es im wahrsten Sinne des Wortes „berührend“, wie Jesus seinem ungläubigen Zweifler erlaubt, sich an die Wahrheit heranzutasten: „Berühre [meine Wunden]“, sagt Jesus zu Thomas. „Berühre mit deinen Fingern die Wunden meiner Füße und meiner Hände; wenn es dir gut dünkt, lege deine ganze Hand in meine Seite (Joh 20,27) und sieh, dass ich selbst es bin (Lk 24,39); und wenn du das getan hast, sei nicht mehr ungläubig, sondern gläubig“ (DASal 9,334).
So geht Jesus Christus mit den Zweiflern um, die glauben wollen, aber nicht können. Schritt für Schritt führt er sie an die Wahrheit heran. Er lässt sie nach und nach ertasten, was sie noch nicht glauben können. „Hand aufs Herz“ sagen wir, wenn wir der Wahrheit ganz genau auf den Grund gehen wollen. Der Zweifel hilft uns dabei, und daher ist er gerade in unserer Zeit zum Bruder des Glaubens geworden. „Hand aufs Herz“ sagt Jesus auch zu uns – und so dürfen wir vor allem ihm Glauben schenken, ihm, der sagte: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater, außer durch mich“ (Joh 14,6). Modern ausgedrückt bedeutet das: Jesus ist frei von allen Arten von Fake News. Ihm können wir voll und ganz vertrauen. Wer ihm glaubt, kommt ans Ziel – oder wie Franz von Sales meint: „Wer ihm vertraut, wird nicht verloren gehen.“ Leuten aber, die Fake News verbreiten, sollten wir tunlichst mit einer „glückselige Ungläubigkeit“ entgegentreten, damit uns die Wahrheit frei machen kann. Amen.
P. Herbert Winklehner OSFS