Predigt zum 2. Fastensonntag (Lk 9,28b-36)

Für die Lebenden und Verstorbenen beten – ein Beitrag zum Jahr der Barmherzigkeit

Für die Lebenden und die Toten beten… das tut jemand, der barmherzig ist. Das tut jemand, der ein Herz aus Fleisch und Blut hat, und dem die Mitmenschen ein Anliegen sind. Für die Lebenden und die Toten beten – ist das Werk der Barmherzigkeit, das wir heute ein wenig betrachten wollen. Ich weiß nicht, ob Jesus aus diesem Grund mit seinen Jüngern auf einen Berg gestiegen ist, um für die Lebenden und die Toten zu beten. Es heißt ganz einfach, er ging auf einen Berg um zu beten. Zwei Gedanken kommen mir dazu spontan: am Berg ist es still und einsam, da ist es ruhig, sodass man zu sich kommen kann – eine wichtige Voraussetzung für das Beten, die Jesus gesucht haben mag; und: auf einem Berg ist man näher bei Gott! Ich meine das jetzt nicht von der Topographie also von den Höhenmetern aus, dass man da dem Himmel näher ist, sondern vom Gefühl her. Am Berg ist der Geist freier, am Berg steht man normalerweise über den Dingen, am Berg lässt sich Gott leichter erahnen und vielleicht auch erfahren, weil am Berg hat man einen anderen Überblick – quasi ein Berg ist ein geeigneter Ort für eine Supervision, ein „Drüberschauen“ über das, was sich in meinem Leben alles so abspielt. Am Berg also kann ich ruhig werden, verweilen, zu mir kommen und meditieren, was ja nichts anderes heißt als in meine Mitte gehen – in mein Inneres, meine Seele. Ob man aber in so einer meditativen, betenden Haltung als erstes für die Lebenden und die Toten zu beten beginnt, weiß ich nicht. Da geht es doch vielmehr um das Verweilen im Augenblick, das Verharren im Gefühl, vom Universum umgeben zu sein. Um das Bewegt- und Berührtsein von der gigantischen Bergwelt, gegenüber der ich nur ein kleiner Wurm bin… das sind doch eher die Gebetserfahrungen, die ich kenne, wenn ich auf einem Berg bin und im Gebet innehalte. Da scheint man doch irgendwie Gott näher zu sein als irgendwo im Lärm und in der Zerfahrenheit des Alltags. Genauso kann ich mir den Abram vorstellen, der in den Sternenhimmel schaut. Die Unendlichkeit des Weltalls kommt einem da entgegen und beeindruckt tief! Und ich kann mir gut vorstellen, wie mit dem Abram die Phantasie durchgegangen ist und wie er zu träumen begann über seine Familie, sein Volk, und wie groß und zahlreich es werden könnte, wenn Gott sein Wort hält. Das alles aber scheint mit dem Beten für die Lebenden und die Toten nicht besonders viel zu tun haben. Vielmehr mit den eigenen Wünschen, den eigenen Träumen und Vorstellungen. Beten als ein Versinken in Gott, ganz bei sich und ganz bei Gott sein, bei der eigenen Sehnsucht nach einem gelungenen und erfüllten Leben. Wer denkt in so einer Situation dann an die vielen anderen Lebenden und Toten? Vielleicht ist es besser, für sie in einer anderen Situation zu beten, in der Kirche, bei einer Andacht, einen Rosenkranz oder eine Litanei – aber nicht auf einem Berg, da ist man verklärter, abgehobener, emotionaler.

Und doch ist Jesus nicht allein auf den Berg gegangen. Irgendeinen Grund wird er gehabt haben, Petrus, Johannes und Jakobus mit sich zu nehmen. Vielleicht weil es noch schöner ist, mitsammen zu beten und mitsammen das Herz zu Gott zu erheben als das alleine das zu tun. Beten ist ja ein Dialog und kein Monolog. Beten heißt ja in Beziehung treten, ins Gespräch kommen, vielleicht auch mitsammen schweigen und staunen, aber auf alle Fälle ist Beten kein Kreisen um sich selbst. Beten öffnet zum Du. Wie M. Buber es einmal ausdrückt: Der Mensch wird am Du zum Ich. Das ist tiefste Gebetserfahrung. Und es ist tiefste Gotteserfahrung. Wenn man das Kommen des Mose und des Elija zu Jesus dahingehend einmal betrachtet, dann ist das der beste Beweis, Jesu Beten ist ein Dialog, ein Gespräch, tiefste Kommunikation mit denen, die zwar schon lange tot sind, mit denen er sich aber in seiner Gottverbundenheit total verwandt fühlt. Sie sind die, die dasselbe wollten wie er – sie wollten den Menschen das Heil und die Rettung Gottes verkünden und bringen. Ihre Verbundenheit wird beschrieben wie ein strahlendes Licht, in dem sie sind, oder das von ihnen ausgeht. Ich denke, es ist das göttliche Licht, das in ihnen und durch sie und ihrer Kommunikation leuchtet. Mose, Elija und Jesus: Ihnen liegen die Menschen am Herzen – das haben sie gemeinsam, weil sie Gottesmänner sind und weil Gott die Menschen am Herzen liegen. Und die Jünger? Sie wollen drei Hütten bauen … Hütten, weil sie sie in ihrer Nähe halten wollen, weil sie vielleicht ganz deutlich spüren, wie gut es ist, in ihrer Gegenwart zu sein. Augenblick verweile, du bist so schön – weil du so erfüllend bist. Und dann spielt auch noch die Wolke eine Rolle, die da plötzlich kommt und ihren Schatten auf sie wirft. „Wolke“ ist heute ein ambivalenter Begriff. Wir kennen neben den Wolken am Himmel auch die Cloud der Cyberwelt, in der die Informationen in unüberschaubarer Dimension um uns herumschwirren. Das kann schon Angst machen. In dieser Wolke ist nämlich alles drin, alle Beziehungen und alle Daten und alle Informationen, alle Kommunikation … niemand hat den totalen Durchblick, und doch würde das gesamte Netzwerk, durch das wir verbunden sind, ohne sie zerfallen.

Vielleicht ist die Wolke am Berg der Verklärung, die die Jünger umgibt, ein Symbol für die Verbundenheit aller, die auf den hören, den Gott als seinen geliebten Sohn offenbart. Jesus ist der, der uns alle miteinander verbindet, in dem wir uns als eine große Gemeinschaft verstehen, als eine Gemeinschaft von befreiten und erlösten Menschen. In dieser Cloud sind alle drin, die Lebenden und die Toten.

Zurück zum Bergerlebnis! Was man erlebt, will man teilen – mitteilen. Will man mit den Menschen teilen, will man den Menschen mitteilen. Wer für die Menschen betet, nimmt sie mit auf den Berg der Verklärung, nimmt sie mit in das göttliche Licht, das von Jesus auf uns ausstrahlt und unser Leben hell macht … und lässt auch sie die Stimme vernehmen, die sagt: hört auf meinen geliebten Sohn, er hat Worte ewigen Lebens. Amen

P. Thomas Vanek OSFS