Predigt zum 19. Sonntag im Jahreskreis (Joh 6,41-51)

Nicht Murren, Schüler Gottes sein

Murren ist eine Untugend. In Wien sagt man dazu granteln. Ein anderes Wort wäre Nörgeln. Nichts und niemand kann es einem recht machen, nichts passt, der Nörgler, der Grantler oder der Murrende findet immer ein Haar in der Suppe.

Dieses Murren hat in der Bibel eine lange Tradition. Nicht erst bei Jesus murrten die Menschen, das war auch schon tausend Jahre vorher bei Mose so. Kaum hat er das Volk aus der Sklaverei Ägyptens befreit, begann es zu murren: der Weg ist zu lang, es gibt kein Wasser, kein Brot, kein Fleisch … und das klassische Argument der Murrer gab es auch schon: Früher war alles besser. Für die berühmten Fleischtöpfe in Ägypten würde man sogar die Sklaverei in Kauf nehmen.

All das muss man mitbedenken, wenn man das heutige Evangelium richtig verstehen will. In diesem Evangelium geht es ja nicht nur um das Murren gegen Jesus, sondern vor allem um die Aussagen, die Jesus über sich sagt:

„Ich bin das Brot, das vom Himmel herabgekommen ist.“ – „Ich bin das Brot des Lebens … wenn jemand davon isst, wird er nicht sterben.“ – „Ich bin das lebendige Brot … wer von diesem Brot ist, wird in Ewigkeit leben.“ – „Das Brot, das ich gebe, ist mein Fleisch, ich gebe es hin für das Leben der Welt“.

Diese Aussagen über das Brot des Lebens, die für uns so selbstverständlich klingen, weil wir sie oft genug hören, waren damals tatsächlich ein Skandal, für den das Murren eigentlich noch eine sehr harmlose Reaktion gewesen ist. Mit diesen Aussagen stellte sich Jesus nämlich auf die gleiche Stufe wie Gott, der Allmächtige, selbst. Denn für die Juden war es Gott selbst, der in der Wüste sein Volk mit Brot, Manna und Fleisch versorgte. Gott, der Allmächtige, ist also das Brot des Lebens, das vom Himmel herabkommt, niemand sonst. Gott schenkt das Ewige Leben, nicht irgendein Jesus, der Sohn Josefs, dessen Vater und Mutter wir kennen.

Was Jesus hier betreibt, war also in den Ohren der Juden nichts anderes als Gotteslästerung. Und das war unerhört. Gotteslästerer, die sich anmaßten, wie Gott zu sein, gehören eigentlich dem Gesetz nach gesteinigt.

In der Mitte dieser hochdramatischen Situation zitiert Jesus dann ein Prophetenwort. Er sagt: „Bei den Propheten heißt es: Und alle werden Schüler Gottes sein.“ – Und er zieht den Schluss: „Wer auf Gott hört und seine Lehre annimmt, wird zu mir kommen.“ Das heißt: Wer genau hinhört auf das, was ich sage, und aus der Geschichte lernt, wer Schüler bleibt und lernfähig ist, der wird schließlich und endlich alles richtig verstehen.

Darauf kommt es also an: Anstatt zu Murren und zu Nörgeln, sollen wir Schülerinnen und Schüler sein, uns bewusst sein, dass man jederzeit immer noch dazulernen kann. Und das gilt für den Glauben natürlich genauso wie für alles andere. Gottesbeziehung ist etwas Lebendiges. Gotteserkenntnis ist nichts Abgeschlossenes, sondern entwickelt sich weiter. Was ihr vor tausend Jahren gelernt habt, kann sich heute verändern: „Ich bin das Brot des Lebens“, sagt Jesus, „Eure Väter haben in der Wüste das Manna gegessen und sind gestorben. Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabkommt. Wenn jemand davon isst, wird er nicht sterben.“

Es kommt also darauf an, dass wir lernfähige Schülerinnen und Schüler Gottes bleiben, so wie es auch der heilige Franz von Sales einmal formulierte: „Der Lehrer verlangt nicht jedes Mal, dass die Schüler ihre Lektion tadellos können, er begnügt sich damit, dass sie sich nach Kräften zu lernen bemühen. Machen wir also auch unsere Sache, so gut wir können, dann wird Gott mit uns zufrieden sein“ (DASal 2,309).

Seien wir Schülerinnen und Schüler Gottes, die lernfähig bleiben, für die Botschaften unseres Gottes – und Murren wir nicht, denn Murren ist eine Untugend. Amen.

P. Herbert Winklehner OSFS