Predigt zum 1. Fastensonntag (Lk 4, 1-13)
Die Sehnsucht und die Sehnsüchte
Evangelium: Lk 4,1-13
Wenn der Name Nelly Sachs fällt, dann meist im Zusammenhang mit einem ihrer bekanntesten Zitate: Alles beginnt mit der Sehnsucht. Dieses Zitat hat die Welt erobert. Alles beginnt mit der Sehnsucht! Und sicher nicht ohne Grund. Denn jeder Mensch kennt sie – die Sehnsucht, und daher ist dieses Zitat keine Lebensweisheit sondern eigentlich Lebenserfahrung jedes Menschen. Wer keine Sehnsucht hat, lebt nicht. Sehnsucht nach Liebe, nach Geborgenheit, nach Annahme, nach Zärtlichkeit, Sehnsucht nach Beziehung, Sehnsucht nach Gott … wir können ihr viele Namen geben, sie bleibt die eine Sehnsucht, mit der alles beginnt, und die uns Leben lässt.
Wie aber ist dann diese Wüstenerfahrung Jesu zu verstehen? Der Teufel spricht doch auch die Sehnsucht an, wenn er Jesus seine verschiedenen doch durchaus verlockenden Angebote macht: Nicht mehr hungrig werden, weil ich aus Stein Brot machen kann. Alle Reiche dieser Erde zu besitzen und dazu noch alle Macht und Herrlichkeit dieser Reiche. Wer da nicht zugreift! Schließlich ist es doch die Sehnsucht jedes Menschen, seinen Machtbereich ständig zu erweitern, im Genug nie genug zu haben … das betrifft das Materielle wohl genauso wie das Geistige, das Persönliche. Man hat doch nie genug Anerkennung, nie genug Wertschätzung, nie genug Lob und nie genug Verständnis. Warum also weist Jesus all diese Angebote des Teufels zurück, wo sie doch die Sehnsucht in ihm ansprechen, mit der doch alles beginnt? – Aber VORSICHT! Ich glaube, es handelt sich da um eine Verwechslung! Denn nicht die Sehnsucht Jesu spricht der Teufel an, sondern seine Sehnsüchte … und das ist ein gewaltiger Unterschied! Es war wohl die vom Heiligen Geist erfüllte Sehnsucht in Jesus, die ihn nach seiner Taufe aus der Jordangegend in die Wüste führte. Mit der Zusage, Gottes geliebter Sohn zu sein, trieb ihn die Sehnsucht in die Wüste, um ganz mit dem geliebten Vater eins zu sein, ungestört und ganz allein. Das ist wie bei uns mit dem Beginn der Fastenzeit. Wer spürt nicht die Sehnsucht in sich, jetzt wieder einmal mehr zum Leben zu kommen. Also weg mit all dem Ballast, weg mit all dem unnötigen Müll, mit dem wir uns das Leben ständig zupflastern. Sich befreien … nicht nur von ein paar unnötigen Kilos frei werden sondern auch wieder frei werden für das, was im Alltag viel zu kurz kommt: Beziehungen, Freundschaften, Zeit, Bewegung. Aber erneut heißt es VORSICHT! Denn hinter dieser Sehnsucht – quasi in ihrem Schatten – lauern sie, die Sehnsüchte! Sie gehen einher mit der Sehnsucht, mit der alles beginnt, und versuchen (!) mit ihren Versuchungen (!) diese Sehnsucht zu verfälschen, in die Süchte umzuwandeln, die in uns allen genauso drinstecken. Und das ist das Teuflische an der ganzen Angelegenheit. Der Teufel nämlich ist es, der Jesu Sehnsucht nach Gott, nach Leben, nach Liebe umwandeln möchte, umdrehen möchte in ein Kreisen um das eigene Ich. Wer seine Sehnsucht durch seine Sehnsüchte ersetzt, der verliert nämlich Gott. Denn Gott ist die Sehnsucht. Schon in seiner Schöpfung drückt er diese Sehnsucht aus: Lasst uns Menschen machen nach unserem Bild. Gott ist Liebe und die Liebe ist die wahre Sehnsucht. Augustinus bringt es auf den Punkt: Die Sehnsucht Gottes ist der lebendige Mensch. Ich, du, Sie, die, die jetzt nicht da sind … sie alle sind die Sehnsucht Gottes. Und wer sich von Gott suchen lässt, der wird auch die Sehnsucht in sich spüren, ihm zu antworten, ihm zu begegnen.
Deshalb wohl wird gleich am Beginn der Fastenzeit (1. Fastensonntag) Klarheit darüber geschaffen, welche Wege bzw. Abwege man gehen kann, wo man was sucht und wo man sich ver-sucht – auf der falschen Stelle sucht. Das heißt: Es geht um eine Entscheidung, ob ich der Sehnsucht folge, oder meinen Sehnsüchten. Oder anders ausgedrückt, ob ich der Liebe folge oder meinen Ängsten. Denn das hat eine enorme Wirkung. Wie die Weichen gestellt sind, dorthin fahre ich auch. Sind sie auf Autismus gestellt … also auf ständige Lebenssteigerung, auf Profitmaximierung, auf Uferlosigkeit, auf Überanstrengung und Nicht Genug Haben, das uns an alles andocken lässt, das uns anstelle unserer eigenen Ohnmacht unbegrenzte Möglichkeiten anbietet? Das sind unsere Sehnsüchte. Sie stecken alle hinter Masken, denn sie bedienen sich des Guten – allerdings lügen sie das Gute nur vor. Schließlich ging doch auch der Teufel ganz biblisch und seriös vor, als er Jesus mit Bibelzitaten locken wollte, das Gute zu missbrauchen. Oder anders gesagt: man holt sich einen guten Grund, um schräge Dinge zu tun. Das sind die Lockungen des Teufels, des Bösen. In der jüdisch-christlichen Tradition ist der Teufel gerade deshalb keine Person, höchstens eine Unperson. Er nähert sich Jesus an, und gleichzeitig ist er nicht fähig, mit ihm in einen Dialog zu treten. Er verschwindet in dem Augenblick, in dem Jesus eine Antwort gibt, die aus seiner Beziehung zu Gott kommt. Der Teufel aber ist eine Lüge, er entzieht sich der Beziehung, er zersetzt das Personsein, weil er kein Gesicht hat, sondern nur eine zerstörerische Kraft ZWISCHEN uns ist, die uns immer mehr blockiert, ohne dass wir es merken. Er bietet sich mir an und verschwindet gleichzeitig, weil er keine Beziehung eingehen kann. Die Konsequenz: ich bleibe in mir allein stecken. Oder anders ausgedrückt: ich lasse mich von meinen Sehnsüchten dirigieren, um die ich kreise, im Teufelskreise kreise, mich aber nicht befreien zum Leben, zur wahren Sehnsucht, mit der alles beginnt. Leben nicht als Raub sondern als Empfangen dessen, was mir von Gott zuströmt. Das ist Ostern, und daraufhin sind wir unterwegs. Und dafür braucht es eine Entscheidung! Amen
P. Thomas Vanek OSFS