„Ich“ und „Wir“ und Franz von Sales

Digitale Studientagung der AG Salesianische Spiritualität

Die salesianische Spiritualität im Spannungsfeld von „Ich“ und „Wir“ war das Thema der diesjährigen Jahrestagung der „Arbeitsgemeinschaft Salesianische Spiritualität“, die von 25. bis zum 27. Februar 2021 als Videokonferenz stattfand. Rund 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Deutschland und Österreich hatten sich zu der Tagung von daheim aus eingeloggt und sorgten für einen regen Austausch.

Das kirchliche und das gemeinschaftliche „Wir“

In sehr unterschiedlichen Referaten und Statements wurde darüber nachgedacht, wie sich Individualität und Gemeinschaft im salesianischen Geist vereinbaren lassen, und dies auf der Hintergrundfolie des „Geistlichen Direktoriums des heiligen Franz von Sales.“ Das Einstiegsreferat hielt Prof.

Dr. Ludwig Mödl, emeritierter Professor für Pastoraltheologie aus München, der über das grundsätzliche Zueinander von dem einzelnen Gläubigen und der Gemeinschaft der Kirche sprach. Sein Fazit:Alle sind gerufen und berufen, in der Kirche Zeugnis vom Glauben zu geben. Entscheidend ist aber auch, dass dieser Glaube kirchlicher Glaube ist, also sich an die Botschaft Jesu Christi und an die Struktur der Kirche, etwa ihre Sakramentalität bindet. Es gelte nicht der Grundsatz „Ich und mein Gott“, sondern „Wir und unser Gott.“ Auf die Nachfrage, wie heute Menschen wieder den Weg zu Christus und der Kirche finden können, wies Mödl unter anderem auf die Bedeutung von Kunst hin. Zudem mache er in der Münchner Pfarrei, in der er mitarbeite, die Erfahrung, dass gerade auch junge Leute sehr viel mit traditionellen Gottesdienstformen, wie etwa der Eucharistischen Anbetung, anfangen können.

In einem zweiten Vortrag befasste sich Pfarrer Stefan Hauptmann, stellvertretender Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft, mit dem Leben zwischen „Ich“ und „Wir“ beim heiligen Franz von Sales. In seiner Zeit lebten viele Menschen in einer Isolation. Sie waren auf sich zurückgeworfen, und dies aufgrund äußerer Bedingungen wie Krieg oder auch Epidemien. Sie mussten daher auch die Erfahrung machen, die Eigenständigkeit verloren zu haben, abhängig zu sein. Gerade dieser Krise der zerbrochenen Autonomie stellte Franz von Sales ein Leben in der Gegenwart Gottes als Alternative entgegen. Dies ermögliche zu akzeptieren, nicht autonom zu sein, doch es auch nicht sein zu müssen. Und hier spielt auch die Gemeinschaft hinein: Die Brüder und Schwestern werden das ergänzen, was dir fehlt. Für Franz von Sales war „Mein Gott“ und „unser Gott“ kein Gegensatz, sondern gehörte zusammen. Konkret strebte er dies an in der Gründung der Bruderschaft vom heiligen Kreuz im Jahr 1593 und vor allem in der Gründung des Heimsuchungsordens im Jahr 1610.

Das „Ich“ und „Wir“ in Gemeinschaften und persönlichen Erfahrungen

Konkret über das „Ich“ und „Wir“ im Direktorium sprach Br. Hans Leidenmühler OSFS aus Wien. Für ihn ist die Grundaussage des Textes: „Gott hat Freude an der Welt, wir geben Antwort auf die Liebe Gottes“. Das Ziel des Direktoriums sei es, zu helfen, überall einen barmherzig liebenden Gott zu entdecken.

Dazu sei es zum einen notwendig, zu lernen, auch gegenüber sich selbst barmherzig zu sein, doch ebenfalls immer wieder die Begegnung mit Gott zu suchen – also „dranzubleiben“.

Schwierig zu verstehen sei indessen das von Franz von Sales postulierte

Ziel: „Durch Abtötung zur Vereinigung“. Vereinigung meine allerdings nichts anderes, als sich bewusst zu werden, dass Gott jede Gelegenheit zur Begegnung nützt. Diese Begegnung könne sehr verschieden sein:

freundschaftlich mitfühlend, aber auch herausfordernd – sie sei aber immer heilsam und heilend. Als Menschen sollen wir daher offen für Begegnung mit Jesus sein, mit ihm eine Beziehung aufbauen, um so auch mit dem Mitmenschen ein gutes Miteinander und Füreinander zu leben. Vereinigung bedeute also, eine immer tiefere Beziehung zu Gott aufzubauen.

Die Abtötung beziehe sich auf die allzu menschliche Erfahrung, gefangen von „eigenen Stürmen“ zu sein. Hier kann eine Ablösung hilfreich sein, sich von destruktiven Kräften zu trennen , die mein Leben bestimmen, um sich für Kräfte zu öffnen, die mein Leben bereichern. Auch bei der Abtötung geht es also um etwas Positives. Sie ist die Möglichkeit, sich für Jesus zu öffnen.

Das konkrete Leben im Kloster sei freilich immer auch Bedingungen unterworfen, die gerade auch das Direktorium thematisiert, jedoch kann ich mit diesen Bedingungen Augenblick für Augenblick dem großen Ziel der Begegnung mit Jesus näherkommen, der sich als Begleiter des Lebens erweist.

In einigen kurzen Statements sprachen nun Mitglieder der salesianischen Ordensgemeinschaften über ihre Erfahrung mit dem Direktorium: von den Heimsuchungsschwestern Schwester Maria-Anna, Schwester Agniezka und Schwester M. Franziska vom Kloster Zangberg, von den Oblatinnen des hl.

Franz von Sales, von den Oblatinnen des hl. Franz von Sales Schwester Katharina Elisabeth und Schwester Lydia Alexandra, vom Säkularinstitut des hl. Franz von Sales Monika Rauh und von den Sales-Oblaten P. Dominik Nguyen und F. Cyprien Messie. Zudem gab es noch drei weitere Statements zum Thema „‚Ich‘ und ‚Wir‘ aus salesianischer Perspektive“. Zu Wort kamen Nico Lindner, der Sohn von Anja Lindner aus dem Vorbereitungsteam der Salesianischen Tagung, der auf der Suche nach seiner eigenen Spiritualität ist, dann Christoph Salinger, Student aus der Gemeinschaft der Salesianer Don Bosco und Diakon Raymund Fobes, Redakteur bei der Salesianischen Zeitschrift „LICHT“ und Sekretär der AG Salesianische Studien.

Ichwerdung in Krisen – auch durch den Glauben

Aus der Perspektive der Psychologie betrachteten schließlich Tamara Steiner, deren Ansatz die Logotherapie und Existenzanalyse Viktor Frankls ist, sowie in einem Video der Neurobiologe Gerald Hüther das Thema. Tamara Steiner machte deutlich, dass gerade die Orientierung an einem Sinn, der gesucht und gefunden werden kann, hilft, Krisen zu bewältigen. Frankl sei davon ausgegangen, dass der Mensch fähig sei, sich allen Bedingungen durch seinen Geist, also sein Bewusstsein, zu stellen und so dem Leben, das immer wieder uns herausfordert, frei, durch das Sich-Einlassen auf Sinnmöglichkeiten Anworten zu geben. Was die Gottesfrage angeht, so spricht Frankl von einem „unbewussten Gott“, zu dem der Mensch eine Beziehung aufbauen kann.

Gerald Hüther sprach angesichts der Coronakrise davon, dass diese Situation vielen Angst macht. Dabei machte er auch deutlich, dass zur Angstbewältigung eine spirituelle Bindung hilfreich sein kann.

Im „Wir“ wieder zusammenkommen

Die Tagung war für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer eine Anregung zum Weiterdenken, wie die Statements am Schluss deutlich machten. Für viele war der Abschied verbunden mit dem Wunsch zu einem nächsten Treffen im Salesianischen Geist, auch in der Hoffnung, dass man dann wieder persönlich zusammen kommen kann. Doch auch der Wert einer Videokonferenz wurde durchaus gesehen. Immerhin ist es dabei ohne großes Reisen gut möglich, sich gemeinsam auszutauschen.

Diakon Raymund Fobes