Ansprache zur Gelübdeerneuerung 21. November 2021

Im Prinzip gelten die Gelübde für alle Christinnen und Christen

Jesus ist gekommen, um in der Welt die Wahrheit Gottes zu bezeugen. Gott ist Wahrheit, Licht, Leben: alle diese großen Worte können aber nur andeuten, wer Gott wirklich ist. In Jesus aber ist die Wahrheit Gottes sichtbar geworden. Die etwas sperrige aber wortgewaltige Textstelle aus der Offenbarung soll uns weiterhelfen, diese Wahrheit besser begreifen zu können:

selbst die scheinbar Großen und Mächtigen der Erde -die Könige, oder diejenigen, die Jesus gerichtet haben – sind im Grunde nur Figuren eines viel größeren Spiels: Mitte und Ziel der Geschichte und ihr eigentlicher Herr ist Christus. Er ist der „treue Zeuge“, der für die Wahrheit seines Zeugnisses in den Tod gegangen ist. Seine Königsherrschaft ruht auf der Macht der Wahrheit und der Liebe. Und er hat auch uns zu Königen und zu Priestern gemacht; das bedeutet umgekehrt aber auch: als Christen sind wir mitverantwortlich für das Geschehen in der Welt.

Wer in einem Orden lebt, verspricht dabei noch radikaler für Gott und den Nächsten da zu sein. Jesus hat seinen Jüngerinnen und Jüngern viele Ratschläge gegeben, wie sie ihr Leben und ihren Glauben in seiner Nachfolge gestalten können. Als besonders hilfreich haben sich im Laufe der Geschichte drei Regeln erwiesen: das Leben in Armut, Keuschheit und Gehorsam, die sogenannten „Evangelischen Räte“. Sie haben sich als die umfassendsten und tragenden Haltungen im Blick auf eine entschiedene Nachfolge Christi bewährt. Das gilt nicht nur für Ordensleute, sondern im Prinzip für alle Christen, verheiratete oder unverheiratete.

Der Rat zur Armut ermuntert uns, dem Mammon nicht hinterherzurennen und uns für Fairness und soziale Gerechtigkeit einzusetzen. Dieser Regel kann als expliziter Ordensaufgabe oder etwa durch Mitarbeit im sozialen Bereich – in der Medizin, im Lehramt oder bei der Pfarrcaritas – gefolgt werden.

Das Gelübde zur Keuschheit soll uns helfen, uns selbst und einander treu und fokussiert zu bleiben, um z.B. nicht in einen emotionalen Burnout zu geraten, bei dem man immer wieder neue Partnerschaften sucht oder suchen muss. Zitat T. Vanek: „ein Ordensmann verzichtet auf 1.000 Frauen, ein Ehemann auf 999“.

Der Rat des Gehorsams scheint mir insbesondere auf das darin versteckte Zu-Hören ausgelegt zu sein und jedenfalls nicht auf eine stumpfsinnige Regelung von Über- und Unterordnung. Beherzigt man diesen evangelischen Rat in diesem Sinn, so gewinnen z.B. Eheleute Erkenntnis und Stärke aus dem gegenseitigen Zuhören – umso mehr kann dieser Rat in einer gelebten Ordensgemeinschaft fruchten – 4 Augen oder mehr sehen einfach mehr als 2.

Die evangelischen Räte befreien von inneren und äußeren Zwängen und helfen so, Gott ungeteilt zur Verfügung zu stehen. Die Gelübde sind also ein Hilfsmittel, um sich ganz und gar mit Christus zu verbinden, die leidenschaftliche Liebe zu ihm zu verwirklichen. In diesem Sinn kann man den Tag der Gelübdeerneuerung gut mit einem Hochzeitstag vergleichen, an dem man sich in Erinnerung ruft, wie man sein Leben gestalten und nach welchen Leitlinien man dabei vorgehen möchte.

Ich wünsche allen, die dieses Gelübde heute erneuern, dass sie dabei weiterhin fest entschlossen sind, dass die evangelischen Räte ihre Leitlinien sind und dass das Sich-Bereitstellen an diese Ordensgemeinschaft weiterhin aus ganzem Herzen gelobt werden kann, um auf diesem Weg nichts weniger als die Wahrheit Gottes zu bezeugen und zur vollkommenen Liebe zu gelangen. AMEN.“

Harald Mühlberger, 21. November 2021, Kirche Krim (Pfarre Franz von Sales)