So wie die Fasten- und Osterzeit, so wird auch Advent und Weihnachten in diesem Jahr etwas anders als gewohnt ablaufen. „Nur nicht den Mut verlieren!“ … So würde in dieser Situation der heilige Franz von Sales schreiben. Man findet diesen Satz in vielen Briefen an Frauen und Männern, die ihm ihre Sorgen und Nöte anvertrauten und um Rat fragten. Er war eben überzeugt, dass Gott bei uns ist, uns begleitet, uns hält, uns trägt, wenn wir es nicht mehr alleine schaffen. Woran er das merkte? Nicht durch großartige Wunder, sondern durch ganz kleine alltägliche Dinge und Geschehnisse: das freundliche Wort, die kleine Geste der Hilfsbereitschaft, ein herzliches Lächeln. Ich glaube, das wäre die wesentliche Aufgabe, der wir uns in diesem Jahr im Advent widmen sollten, wenn die großen Veranstaltungen, die sonst in dieser Zeit stattfinden, nicht durchgeführt werden können: die Augen offen halten für die kleinen Dinge, die uns zeigen, dass Gott da ist, mitten unter uns – trotz allem.

Diese kleine Advents- oder Weihnachts-Einstimmungsgeschichte kann uns dabei helfen:

Einmal, vor vielen Jahren oder auch in diesem Jahr, ich weiß es nicht mehr so genau, geschah es, dass das Christkind zu früh auf die Erde kam. Offenbar passte es beim Blättern in seinem Terminkalender nicht richtig auf. Jedenfalls war es erst der 24. November, als das Christkind die Stadt betrat.

Irritiert blickte es auf die Straßen und Häuser. Ein bisschen war es schon so wie immer: die Lichter überall, der Schmuck auf den Straßen, die Musik, die man hörte. Aber irgendwie war doch alles ganz anders. Die Leute liefen hin und her. Sie achteten nicht aufeinander, gar kein Lächeln. Die gewohnt gehobene Weihnachtsstimmung war nicht spürbar.

„Was ist da los?“, fragte sich das Christkind. „Haben die Leute auf Weihnachten vergessen?“

Es beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen, und ging zum Haus einer Familie, bei der es jedes Jahr zu Gast war. Es läutete an der Tür und wartete. Anstelle von Jubel und Freude hörte es diesmal aber nur einen Aufschrei: „Um Himmels willen – das Christkind!“ Als die Tür geöffnet wurde, blickte es in das erschrockene Gesicht der Hausbesitzerin.

„Bist du wirklich das Christkind?“, fragte sie ungläubig.

„Ja, darf ich reinkommen?“

„Nein, das geht nicht. Du bist zu früh!“

„Ich bin zu früh?“

„Ja, um ein Monat. Heute ist erst der 24. November.“

„Oh!“, antwortete das Christkind. „Da muss ich mich vertan haben. Darf ich trotzdem rein?“

„Nein! Wir sind ganz und gar nicht auf dich eingestellt.“

„Was heißt das?“, wollte das Christkind wissen.

Jetzt war die Frau etwas verlegen. Sie schaute auf den Boden und meinte ganz leise: „Nicht aufgeräumt! Nichts vorbereitet! Nichts daheim!“

„Oh!“, wiederholte das Christkind ein zweites Mal, weil ihm auf die Schnelle nichts anderes einfiel. Dann aber nahm es tief Luft und sagte: „Aber das ist mir doch egal! Als ich zum ersten Mal auf die Welt kam … wo war das? In einem Stall bei Esel, Ochs und Schafen. Glaubst du, dass da aufgeräumt war?“

Die Frau war sichtlich erstaunt. „Na gut,“ sagte sie, „dann komm herein!“

Das Christkind ging ins Haus und sah eine ganz normale Wohnung. Kleider und Schuhe lagen herum, in der Küche stapelte sich das Geschirr, Kinder und Ehemann saßen etwas verdattert im Wohnzimmer.

„Hallo!“ grüßte das Christkind. „Hallo!“ kam eine etwas verhaltene Antwort.

„Darf ich mich zu euch setzen?“

Alle rutschten ein wenig zur Seite, damit das Christkind Platz nehmen konnte. Währenddessen kam die Frau aus der Küche mit einem Glas Wasser und ein paar Keksen. Stolz verkündete sie: „Das sind die ersten Kekse, die ich gemacht habe. Viel ist es leider noch nicht!“

Das Christkind bediente sich bei den Keksen und trank einen Schluck Wasser.

„Und“, sagte es dann, „wie geht es euch?“

Da ergriff der Ehemann zum ersten Mal das Wort: „Naja, wenn ich ehrlich bin … ziemlich besch … eiden. Das Jahr heuer ist zum Vergessen, ein richtiges Seuchenjahr. Und kein Mensch weiß, wie es weitergehen wird.“

Das Christkind hörte zu und erfuhr so einiges, was die Familie in den letzten Monaten erlebte. Während der Mann erzählte, mischten sich auch die Kinder und die Mutter immer wieder ein und ergänzten mit ihren Erlebnissen, Gefühlen und Eindrücken. Dabei entspannte sich die Stimmung immer mehr. Hin und wieder huschte sogar ein Lächeln über das eine oder andere Gesicht. Das war natürlich jetzt nicht das fröhliche Strahlen wie am Heiligen Abend, wenn der Christbaum aufleuchtet, Stille Nacht gesungen und die Geschenke überreicht wurden, aber trotzdem wurde doch so ein bisschen von allem leicht spürbar.

Das Christkind merkte zuerst gar nicht, dass es plötzlich ganz still geworden ist und alle es anstarrten. Zunächst starrte es zurück und nahm sich noch einen Weihnachtskeks vom Teller. Die Frage, die man ihm gestellt hatte, lag noch immer in der Luft: „Wo warst du da eigentlich die ganze Zeit?“

Das Christkind schaute auf, räusperte sich und sprach: „Jetzt bin ich richtig froh, dass ich in diesem Jahr zu früh gekommen bin. Denn nun kann ich euch an die anderen Namen erinnern, die ich trage. Ich bin nämlich nicht nur das Christkind, sondern ich bin JHWH, das heißt ICH BIN DA. Dann heiße ich auch IMMANUEL – GOTT MIT UNS. Und natürlich JESUS – GOTT RETTET. All diese Namen wollen euch zeigen: Ich bin IMMER da, nicht nur am 24. Dezember! Ich bin MIT EUCH und ich bin der RETTER. Jeden Tag, jede Stunde, jede Minute, jede Sekunde … Nur ihr merkt es leider offenbar viel zu wenig.“

„Heißt das,“ fragte nun eines der Kinder, „heißt das: Weihnachten ist IMMER?“

„Eigentlich schon …“, erwiderte das Christkind. „Seit ich vor 2000 Jahren Mensch wurde, habe ich euch nie mehr verlassen.“

„Das ist schön“, seufzte die Mutter. „Du kannst bei uns bleiben, solange du willst. Es tut gut, dich in unserer Mitte zu haben.“

„Das ist cool!“, riefen die Kinder fröhlich. „Dann feiern wir jetzt jeden Tag Weihnachten! Hurra!“

Der Vater blieb am längsten still, räusperte sich und meinte dann aber doch: „Okay, ich bin dabei!“

Gleiches oder Ähnliches ereignete sich übrigens an diesem denkwürdigen 24. November in vielen Familien. Das Christkind hat nämlich die Gabe, an vielen verschiedenen Orten gleichzeitig zu sein. Und irgendwie wurde es an diesem sonderbaren Heiligen Abend in der ganzen Welt ein bisschen heller.

Herbert Winklehner OSFS

„Wir wollen unseren Erlöser betrachten, der in seiner heiligen Geburt  zu uns kommt, so dass wir zu Weihnachten froh singen können: Immanuel – Gott mit uns.“

Franz von Sales, DASal 5,215