Ein eifriger Seelsorger

(Das Requiem für Pater Winfried Kruac OSFS, verstorben am 27. November 2021, konnte aufgrund der Corona-Pandemie nicht unmittelbar nach der Beerdigung stattfinden, sondern musste auf den 7. März 2022 verschoben werden. Die Predigt zur Beerdigung findet man >>>hier…)

Tief erschüttert erreichte mich am 27. November 2021 in Wien die Mitteilung, dass Winfried im Eichstätter Krankenhaus verstorben ist; dass ihm nicht mehr geholfen werden konnte; dass er, ob all seiner Vorerkrankungen, ob seiner Corona-Infektion, auch ob seiner Dickköpfigkeit sterben musste.

Wahrscheinlich stimmen diese Worte „sterben musste“ gar nicht. Vielleicht wollte er sogar sterben, oder besser: Vielleicht wollte er sein Leben in die Hände seines Gottes legen, den er so viele Jahre verkündet und gepredigt hat, mit dem er im Gebet verbunden war, und dessen Leben und Sterben er als Oblate und Priester folgen wollte.

Winfried begegnete ich das erste Mal in Wien, in der Pfarre Krim, und hab ihn dann nie wieder vergessen. Ich war noch in der Ausbildung und er war ein junger, kräftiger, leidenschaftlicher Kaplan.

Ich erinnere mich, wie er Kinder zur Erstkommunion führte, wie er in der Kirche mit ihnen betete und Lieder sang, wie er bei wichtigen Sätzen oder Wörtern die Augen schloss, so als ob nur noch der Blick nach innen, in die eigene Seele, von Belang sei, wie sich seine Tonlage veränderte und damit die Botschaft Jesu noch drängender und dringlicher wurde.

Er konnte Kinder und Jugendliche in seinen Bann ziehen, weil er mit den Kindern Kind sein konnte: beim Reden von Gott, beim Beten, aber auch beim Fußball, beim viel zu schnellen Autofahren, bei Ausflügen, bei den Jungscharlagern.

Es gab keine Jungscharstunde ohne religiösen Teil, und auf seine Gottesdienste und (Dialog-)Predigten freute man sich. Es war im positiven Sinn spannende, unterhaltsame, lehrreiche, religiöse Unterhaltung.

Kürzlich las ich von jemandem, der Winfried aus seiner Schulzeit und Kindheit in der Pfarre noch kannte, dass er für die Begegnung mit Winfried unheimlich dankbar sei, weil er derjenige war, der in ihm als Kind den Samen des Glaubens gepflanzt hat. Winfried war es, der ihm den liebenden und barmherzigen Gott näherbrachte. Der junge Kaplan hinterließt bei diesem jungen Buben einen solch tiefen Eindruck, dass dieser selbst überlegte, Priester zu werden.

Was er Kindern mitgeben konnte, das hat er auch alten, kranken, sterbenden Menschen geben können. Er war ein eifriger Seelsorger, ein Getriebener, der den Menschen die vergebende, die barmherzige Liebe unseres Gottes bringen musste. Vielleicht ein wenig aus Angst vor dem Gericht Gottes, aber vor allem aus Empathie, aus Mitgefühl für jene Menschen, die vor das Antlitz Gottes treten durften.

So ging er im Krankenhaus in Neuburg den Kranken und Sterbenden mit viel Eifer nach, er war Tag und Nacht erreichbar, um sie auf einen versöhnten Heimgang vorzubereiten.

Er war auch ein großes Geschenk für Menschen, die auf der Suche waren, die unsicher waren, weil er den Eindruck vermittelte, dass er bereits gefunden hat, was wir alle noch suchen. Er war leidenschaftlich und kompetent in religiösen Fragen, als Seelsorger und Beichtvater.

Winfried meinte in seiner Diplomarbeit über die Stellung des Willens bei Franz von Sales, die er 1975 in Innsbruck geschrieben hat, dass in dieser „verkopften“ Zeit der Ruf nach dem Ganzen des Menschen wieder laut wird. Er schrieb: „Franz von Sales hat es zu seiner Zeit vermocht, diesen ganzen Menschen anzusprechen … So bekam das religiöse Leben eine echte Tiefe und Ausstrahlung, um die wir heute wieder neu ringen müssen.“

Winfried konnte das. Er strahlte selbst eine Tiefe aus. Er war ein Geschenk für die Menschen, wo immer er auch wirkte, weil er ihnen die Botschaft der Bibel näherzubringen versuchte, und er es nie beim äußeren Ritus, beim traditionellen Brauchtum belassen wollte. Oberflächlichkeit war ihm verhasst und das seichte Leben war ihm nie gut genug.

Er war auch immer eine Bereicherung und ein Geschenk für die Gemeinschaften der Oblaten, weil er ein guter Kommunikator und auch ein sehr lustiger, witziger Mensch sein konnte, der alleine durch sein lautes Lachen ansteckend wirkte.

Unermüdlich. Aufopfernd. Bedingungslos. Außergewöhnlich. Unnachgiebig. Ab und an extrem. Im Glauben wie im Profanen. Im Glauben während der charismatischen Anbetungsstunden, bei seinen Heilungsgebeten, in seinen Predigten. Er musste die Menschen zu Gott führen: drängend, leidenschaftlich.

Im Alltag bei seinen exzessiven Rad- und Zelttouren, bei seinen früheren Autofahrten, beim Modellbau bis hin zu stürmischen Spielen.

Jeder von uns trägt ein Bild von Winfried in seinem Kopf und vor allem jetzt auch im Herzen. Das tragen wir mit, das bleibt bei aller Trauer, bei allem Schmerz des Abschiednehmens und auch des Gefühls: warum unter diesen Umständen und warum jetzt schon?

Zu den Bildern, die wir von ihm in unseren Köpfen und Herzen tragen, reiht sich allerdings noch eines ein:

In ein paar Wochen feiern wir Ostern. Das werden wir in diesem Jahr sicher feiern, vielleicht noch etwas anders wie sonst, aber eines ist ganz gewiss: Ostern findet statt – fällt nicht aus! Denn der Herr ist auferstanden – Jesus lebt!

Und diese österliche Botschaft – „er ist auferstanden, er ist nicht da“ – klingt wahrhaft paradox, vor allem dann, wenn man vor Winfrieds Grab am Friedhof steht: Er ist nicht hier! Er ist ganz wo anders.

Er ist am Ziel, im Himmel, in der Ewigkeit…

Wir glauben: er ist bei Gott.

Bei dem Gott, an den er glaubte, auf den er fest hoffte – von dem er mit Begeisterung sprach.

Er ist bei Gott, den er als Priester mehr als 45 Jahre verkündete, er ist bei Jesus, den er mehr als 50 Jahre als Ordensmann nachahmte.

Das Grab ist wichtig – für uns. Aber den Winfried, den wir suchen, den wir im Herzen tragen, der ist nicht hier. Der ist vollendet in der Gemeinschaft mit Gott.

Das ist die österliche Botschaft für uns alle, die wir auch einmal – jeder und jede von uns – an der Schwelle des Todes stehen werden: Er wird uns auffangen. Er streckt uns seine Hand entgegen.

In diesem Glauben und in dieser tröstlichen Hoffnung feiern wir jetzt zusammen mit ihm diese Eucharistie. Amen.

P. Provinzial Josef Költringer OSFS, Eichstätt, 7. März 2022