Predigt zum Ostermontag (Lk 24,13-35)

Die Krise als Chance

Für die Emmaus-Jünger lief alles hervorragend bis zu dem Tag, an dem Jesus – ihr großes Idol – als Verbrecher gekreuzigt und getötet wurde. Dann folgte die Krise. Fluchtartig verlassen die beiden Jerusalem. Alle möglichen Gedanken schwirren durch ihre Köpfe: Angst, Verzweiflung, Enttäuschung, Hoffnungslosigkeit. Da begegnet ihnen Jesus Christus, den sie jedoch nicht erkennen, weil sie blind sind in ihrer Niedergeschlagenheit. „Ihre Augen waren gehalten“, heißt es im Evangelium. Jesus aber wendet sich ihnen zu. Sie dürfen erzählen, Fragen stellen, ihr Leid klagen, sich ausreden – und das tut ihnen gut. In der Begegnung mit Christus löst sich die Krise der beiden Emmausjünger. Ihr Herz brannte und „ihre Augen wurden aufgetan“: Sie erkennen Christus, als er mit ihnen das Brot brach. Endlich haben sie begriffen, dass all das Schreckliche, das in Jerusalem passiert war, geschehen musste, um den Menschen die Erlösung zu bringen. Mit dieser wunderbaren Erkenntnis konnten sie dann nicht mehr länger still dasitzen. Noch in der Nacht brachen sie auf und kehrten nach Jerusalem zurück, um den anderen zu erzählen, was sie begriffen haben: Jesus ist nicht tot, er lebt, wir sind ihm begegnet und haben ihn erkannt, als er mit uns das Brot brach.

Für den heiligen Franz von Sales lief in seiner Kindheit und Jugend eigentlich alles hervorragend. Er war in seiner Familie wohl behütet und intelligent. Seine schulischen Erfolge konnten sich sehen lassen, zuhause in Annecy und dann auch in Paris. „Engel des Kollegs“ wurde er genannt, weil er nicht nur mit seinen schulischen Leistungen glänzte, sondern auch mit seiner vorbildlichen Frömmigkeit. Es war also alles bestens, eine glänzende Zukunft stand ihm bevor, bis es bei ihm im Alter von 19 Jahren zu seiner berühmten „Krise von Paris“ kam. Eine Frage plagte ihn: Habe ich überhaupt eine Chance, in den Himmel zu kommen? Oder hat mich Gott für die Hölle bestimmt? Er merkte an sich selbst, dass er in seinem Leben immer wieder Fehler macht, auch wenn er sich noch so sehr bemüht, ein frommes Leben zu führen. So schlitterte er in eine Lebens- und Glaubenskrise: All mein Bemühen ist sinnlos, Gott hat mich verdammt. Wie bei den Emmausjüngern, so könnte man sagen, brannte sein Herz, aber seine Augen waren gehalten, er war mit Blindheit geschlagen und sah nur noch schwarz.

In dieser Situation schleppte er sich in eine Kirche. Dort betete er vor einer Marienstatue und bat um Hilfe … und diese Hilfe geschah. Wie den Emmausjüngern wurden ihm dort die Augen geöffnet. Er erkennt zwei wichtige Dinge, die ihn von nun an bis zu seinem Lebensende prägen werden: Die erste Erkenntnis: Gott ist Liebe. Er ist Mensch geworden, wurde gekreuzigt, getötet und ist auferstanden, aus Liebe zu den Menschen. „Die Liebe vollbrachte das alles!“ (DASal 4,162) wird Franz von Sales Jahre später schreiben. Und das zweite, das Franz von Sales am Ende seiner Krise erkannte: Wer auf Gott vertraut, der wird nicht verloren gehen, egal, was in diesem Leben auch passiert. „Das Vertrauen auf Gott“, so wird er später jemandem in einem Brief Mut machen, „das Vertrauen auf Gott mildert alles, erreicht alles und richtet alles auf.“ (DASal 7,63)

Diese beiden Erkenntnisse prägen die salesianische Theologie und Spiritualität bis heute. Franz von Sales wird für alle Menschen, die ihn erleben, ja für die gesamte Kirche zum Lehrer der Gottesliebe und zum Lehrer des uneingeschränkten Gottvertrauens.

Nach seiner Krise studierte Franz von Sales weltliches und kirchliches Recht an der Universität von Padua. In ihm reifte der Gedanke, dass er nicht zum Politiker oder Juristen berufen war, sondern zum Priester und Seelsorger, der den Menschen diese Grundwahrheiten des Glaubens, diese Liebe Gottes und das Gottvertrauen vermitteln muss. Er kehrt in seine Heimat zurück, wird Priester und verkündet allen den Gott der Liebe, dem man sich restlos anvertrauen kann.

Jede Krise birgt auch eine Chance in sich. Das zeigen uns die Emmausjünger und die Krise des heiligen Franz von Sales: die Chance der Umkehr und die Chance neuer Erkenntnisse, die unser Leben prägen. Gott ist es, der uns dabei die Augen öffnet und uns deutlich macht, dass er uns begleitet, uns zuhört, und sich uns zu erkennen gibt, denn er ist der Gott der Liebe, dem man auch in den dunkelsten Stunden des Lebens vertrauen kann. Amen.

P. Herbert Winklehner OSFS